Warum die Vögel im Schlaf nicht vom Ast fallen:
Gibt es einen automatischen Zehen-
In der ornithologischen Literatur wird immer wieder beschrieben, dass Vögel, wenn
sie auf Ästen ruhen oder schlafen, einen automatischen bzw. passiven Zehen-
Mechanismen
Beim Niedersetzen wird sowohl das Kniegelenk als auch das Laufgelenk (Intertarsalgelenk)
gebeugt. Durch die Beugung der Gelenke wird der Weg der Sehnen länger (Fig. 4). Durch
die Beugung des Laufgelenks werden nach Brauer (1911) die Sehnen aller Zehen-
Gibt es einen passiven Sehnen-
Musculus
ambiens
Richtig ist, dass die Sehne des Oberschenkelmuskels an der Aponeurose (Ansatzpunkt am Kniegelenk) eines im Unterschenkel liegenden Zehenbeugemuskels endet (Brauer 1911, Handbook of Avian Anatomy 1993). Die Sehnen aller Zehenbeugermuskeln im Unterschenkel (Tibiotarsus) ziehen über das Laufgelenk (Intertarsalgelenk, entspricht unserem Fußgelenk) am Lauf (Tarsometatarsus) entlang zu den Zehen. (Fig. 3).
In den ursprünglichen Beschreibungen des Sehnen-
Wenn der Vogel in die Hocke geht, wird auch das Laufgelenk gebeugt und es kann zu einer Erhöhung der Spannung der über das Gelenk laufenden Sehnen kommen, da sich der Weg der Sehnen verlängert (vgl. Straffung der Haut über unserem Kniegelenk bei Beugung des Knies). Da die Sehnen sämtlicher Zehenbeuger über das Laufgelenk ziehen, könnten alle Zehen gebeugt werden, was für eine vollständige Umklammerung eines Astes wichtig ist (Brauer 1911).
Tatsächlich scheint aber weder passives Beugen des Knies noch des Laufgelenks zu einer Beugung der Zehen zu führen (Bock 1965, Galton und Shepherd 2012). Hierzu müssen die experimentellen Bedingungen berücksichtigt werden. Bock (1965) konnte bei lebenden Tauben und Krähen bei passiver Beugung des Laufgelenks keine Beugung der Zehen feststellen und vermutet, dass in früheren Untersuchungen tote oder praeparierte Tiere verwendet wurden. Diese Befunde werden von Galton und Shepherd (2012) bestätigt. An lebenden Staren konnten sie bei passiver Beugung des Beines ebenfalls keine Beugung der Zehen feststellen. Diese trat aber auf, wenn getötete Tiere in Totenstarre gefallen waren und damit Muskelstarre vorlag.
Sehnen-
Fig. 4: Schematische Darstellung der Auswirkung einer Beugung von Knie-
Sehnen-
Bei vielen Vögeln konnten Besonderheiten der Beugesehnen im Bereich der Zehen festgestellt
werden, die als Sehnen-
Fig. 5: Links: Aufsicht auf eine Sehne. Rechts: Innenseite einer Sehnenscheide. Nach Schaffer (1903)
Fig. 6: Schematische Darstellung des Sehnen-
Literatur:
Baumel JJ, King AS, Breazile JE, Evans HE, Vanden Berge (1993) Handbook of Avian Anatomy. Nomina Anatomica Avium. Nuttall Ornithological Club No. 23, Cambridge Massachusetts.
Cracraft J (1971) The functional morphology of the hind limb of the domestic pigeon,
Columba livia. Bull. Amer. Mus. Nat. Hist. 144:171-
Bock WJ (1965) Experimental analysis of the avian passive perching mechanism. Am. Zool. 5:681 (Abstract).
Brauer A (1911) Über die Bedeutung des Musculus ambiens für die Beugung der Zehen
des Vogels. Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde No. 3, 175-
Galton PM, Shepherd JD (2012) Experimental analysis of perching in the European starling
(Sturnus vulgaris: Passeriformes; Passeres), and the automatic perching mechanism
of birds. J Exp Zool 317:205-
Quinn TH, Baumel JJ (1990) The digital locking mechanism of the avian foot (Aves).
Zoomorphology 109: 281-
Schaffer J (1903) Über die Sperrvorrichtung an den Zehen der Vögel. Z Wiss Zool 73:377-
Stiefel A (1979) Ruhe und Schlaf bei Vögeln. Die Neue Brehm Bücherei 487. Ziemsen, Wittenberg.
Welty JC (1982) The life of birds (3rd Edition). Saunders Philadelphia
Schlussfolgerungen
Während der Sehnen-
Am überzeugendsten sind die Befunde und Interpretationen von Bock (1965), die hier wörtlich zitiert werden sollen (Übersetzung aus dem Englischen, in Klammern Ergänzungen zur besseren Verständlichkeit):
„ Wenn das Bein von einer gestreckten Position gebeugt wird, ist die Bewegung der
Sehne wegen des längeren Weges über das Gelenk nicht ausreichend um die Zehen zu
beugen. Die Spannung-
Galton und Shepherd (2012) haben Untersuchungen an Staren gemacht und finden unter
experimentellen Bedingungen (Beobachtungen unter Rotlicht), dass Stare sich im Schlaf
nicht an einer (dünnen) Stange festklammern sondern mit gestreckten Zehen auf den
Zehenballen ruhen. Ob dies für Vögel, die auf Ästen ruhen, der Normalzustand ist,
muss bezweifelt werden. Es gibt genügend Foto-
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beim Zehen-
Fig. 3b: Hervorhebung der Muskeln und Sehnen der Zehenbeugermuskeln im Unterschenkel (Tarosmetatarsus).
Römische Ziffern zeigen die den jeweiligen Zehen zugeordneten Strukturen.